Freitag, 17. Dezember 2010

70 M - 84 i - 104 n - Wachstum! Wachstum! Wachstum!

Zumindest ein Vorteil von überfüllten Intercity-Expressos ist der bewusstseinserweiternde Perspektivenwechsel, der unsereiner ausgesetzt wird, wenn Sitzplätze von den Gesetzen der Diffusion verwehrt werden. Kein maxwellscher Dämon, sondern eiskalte Kalkulation. So liegen unsere Blicke nur noch, zusammengekauert auf dem durchnässten Boden, auf den unteren Körperhälften unserer Mitfahrer. Enttäuschenderweise eine recht langweilige Sache. Wo bleiben die schicksalshaften Begegnungen? Ein inselbegabter Schachmeister vielleicht, wie beim Zweig? Wann erfahre ich konstruierte Handlung in meinem Leben? Dieses Privileg scheint nur der Protagonisten-Bourgeoisie vorbehalten zu sein. Ich fordere: Noblesse Oblige, sonst Revolution! Bis dahin fürchte ich jedoch, meine Zeit müsse auf andere Art und Weise massakriert werden. Also schreibe ich einen Text über das, was zwischen Städten schnell herumfährt, Gratis-Getränken und exponentiellem Anstieg von reiner Verspätungszeit. Vielleicht gelingt der Bahn ja der Durchbruch, und sie erreicht die temporale Singularität, eine ewige Verspätung, Quantenbahn made by Schrödinger, Pünktlich und Verspätet zugleich! Großartig. Ich sollte bei Mappus anfragen, wie es mit Plänen diesbezüglich aussieht. Wer braucht denn bitte Kopfbahnhöfe bei diesem Innovationspotenzial? Aber zurück zum Expresso. Wie vielfältig doch die Zeitvertreibung geworden ist! Ob Schach-App, frenetisches Schreiben von Literaturbeleidigung_innen, Lesen von glitzernden Vampirgeschichten oder ähnlichem, Berichte aus dem letzten Urlaub – Mit der Schilderung der Geschehnisse eines einzigen Wagons der Strecke Berlin – Hamm (inklusive überirdischer Verspätungen ausgelöst durch schneeweiße Schneepracht) könnte der besessene Schreiberling schon ein beachtliches Werk schaffen, variabel mit existenzieller, nihilistischer oder auch epikureischer Ideologie durchsetzt. Dann die Flaschenpost in die literarische Welt werfen, vielleicht auf einen Urknall im Kopf der Kritik hoffen, und der nächste Literaturnobelpreis hat einen zusätzlichen Kontestaten gefunden, bei gleichbleibender vakuumesker Leere im Briefbörschen. Aber ich schweife ab. Oder ist gerade das Abschweifen die Liebkosung meiner Tätigkeit? Bringt uns die abgeschwaschwiffene Kunst erst zur Silhouette des Humanen in der Kunst? Oder rede ich vollkommenen Blödsinn? Hat mich die Betrachtung menschlicher Unterhälften zum Wahnsinn getrieben, versuche ich einen Sinn herauszuzerren und zu vivisektieren, um aus der Zeit etwas Zeitweiliges zusammen zu setzen, um nicht vollkommen meiner Produktivität beraubt nach Feigenblättern zu grabschen? Bin ich zu sehr beeinflusst von dem sich vor mir erstreckenden, von Menschen verstellten Gang, im kalten Wohnzimmerlicht gehaltenen Abteil, auf dem jeder seine Sitzorgane mit Stoff und Weichheit liebkosen darf, während ich die kalte Nassheit, die absolute Tautologie der Unbequemlichkeit, an meinen alabastergleichen Pobacken zu spüren habe? Was für ein Frevel! Und das alles nur, aufgrund meiner Hybris und dem Geiz. Die Zivilisation, nein, der Kapitalismus hat mich um mein Sitzfleisch gebracht! Mehr und mehr Sitzmöglichkeiten für weniger und weniger Menschen. Die Sitzakkumulation der Produktionsmittelbesitzer, der –innen und den Strichen ist ein rechtsstaatliches Vergehen! Wenn ich erst einmal Bundespräsident bin und vom System assimiliert, werde ich mich darum kümmern. Dafür stehe ich mit meinem Namen. Auf dem Papier. Aber was soll das Ganze? Hat es Zweck? Ich habe keinen Zweck hinzugefügt. Es ist Produkt einer gebeutelten Seele, einem Kampf gegen das Absurde, das Nichts, die Langeweile, die Lethargie und Kälte der ICE-Teppiche dieser Welt. Wenigstens ein Hoffnungsschimmer: Mit meinen Leidensgenossen verstehe ich mich. Geteilte Fahrt ist halbe Fahrt! Ahoi! Auf, auf in die weite, weiße, puderzuckerbedeckte wunderbar gleisverklebende Traumwelt des Fimbulwinters, des Jahrtausendwinters, von denen ich meinen Enkelkindeskindern noch Geschichten erzählen werde! Der Tag, an dem die Züge stillstanden. Vielleicht auch eine Revolution der Züge? Tritt das gebeutelte Transportproletariat nun auf und fordert Amnestie? Ich sollte aufhören. Wirklich, aufhören. Sonst ergeht es mir noch wie Herrn B., und ich werde niemals ohne Nervenkrankheit zu riskieren wieder auf Teppichen zu sitzen vermögen. Beenden wir dieses Schauerspiel. Fin. 

Freitag, 3. Dezember 2010

Arsen zum Mitnehmen

Carl hatte Recht. Astronomie ist in der Tat eine "character-building experience". Die Entdeckung von Lebewesen, die ganz ungeniert und unbeeindruckt von den uns bekannten Formalien des Lebens Arsen für ihre eigene Biomasse verwenden können, zeigt wieder einmal, wie großartig die Wissenschaft doch ist. Hier gibt es urplötzlich Leben, welches sich selbst aus Arsen konstituiert, einem Stoff mit den sympathisch chemischen Gefahrenzeichen "Giftig" und "Umweltgefährlich".. Biologie-Bücher müssen neu geschrieben werden! Unser bisheriges Verständnis von "Leben" wurde erweitert! Und es fühlt sich so gut an.

Diese Erkenntnis erhöht die Wahrscheinlichkeit von extraterristischen Leben ganz ungemein. Nicht, weil überall im Kosmos Arsen herumfliegt - sondern weil es erneut demonstrierte, dass unsere eigenen Erklärungsversuche noch längst nicht die Gesamtheit der Welt abzubilden vermögen. In einer Welt ohne für den Menschen fassbare Wahrheit wird es immer wieder neue Erkenntnisse geben, und wir laufen schlussendlich nicht weg vor der ultimativen Zertrümmerung unserer Paradigmen, nein, wir umarmen sie, wir liebkosen sie, wir lassen sie in unser Leben hinein, akzeptieren ihre Existenz. Solche Erkenntnisse sind nur Tropfen in einem Ozean, in dem ein kleines Körnchen namens Erde herumschwirrt - Ein unbedeutenes, kleines, fahl-blaues Körnchen, in einem Sonnenstrahl schwebend, aber trotzdem so komplex, so wunderschön-zerbrechlich. Wenn das, was wir Leben nennen, auf diesem kleinen Körnchen bereits so viele differenzierte, einzigartige solche Formen annimmt, was lauert dann erst hinter der schützenden Sauerstoffsphäre auf unsere Nachkommen?

Und nebenbei nimmt es uns einen Teil dieser fürchterlichen Einsamkeit. Je höher die Wahrscheinlichkeit für Leben außerhalb der Erde wird, desto eher sind wir nicht mehr alleine. Ich glaube, alleine dieser Gedanke nimmt der Dunkelheit, in deren Tiefe die Erde schwebt, einen großen Teil ihres Schreckens. Irgendwie sind wir nur animierter Kohlenstoff, haarlose Affen, die die Welt um sich herum wahrnehmen, mit ihr spielen und sie ausprobieren - Der Gedanke, dass es auch anderswo so sein könnte, ist fürchterlich beruhigend. Dafür liebe ich die Wissenschaft. Durch sie können wir die uns umgebene Welt, und ultimativ uns selbst, in neuem Licht sehen. Und das ist ziemlich großartig. Danke, NASA!

-> Hier der Stein des Anstoßes:
http://www.nasa.gov/topics/universe/features/astrobiology_toxic_chemical.html

Freitag, 19. November 2010

Extremismus - Essay

Die elend-ermüdende Debatte um das für wenn und aber des Extremismusbegriffes lenkt ab. Diese Aussage ist eine der wenigen Punkte, bei denen alle Beteiligten irgendwie zustimmen könnten. Da hören aber auch schon die Gemeinsamkeiten auf. Während Ministerin Schröder in ihrem eifrigen  Kreuzzug nicht einmal  dazu in der Lage zu sein scheint, zusammen mit ihrem Ministerium, eine „Linksextremismus“-Definition zu konzipieren, welche ausnahmsweise mal keine demokratisch-orientierten Organisationen einschließt, finden sich auf der anderen Seite verstärkt defensive Fingerzeigübungen auf die bösen Nazis. Verhärtete Fronten sind, spätestens seit Deutschland die Kopfbahnhöfe lieben gelernt hat, ziemlich unbeliebt. 

Aber worum geht es  hier konkret? Die Extremismusdebatte bezeichnet in erster Linie einen Streit über einen allgemein-anwendbaren Extremismusbegriff, inwieweit ein „Rechts-;“ und „Linksextremismus“ überhaupt real existiert, und wenn ja, wie mit diesen beiden Positionen umgegangen werden sollte. So plant die Bundesregierung „Programme gegen Extremismus“ in Gang zu bringen, während auf oppositioneller Seite oftmals der „Extremismus“ generell in Frage gestellt wird.  Desweiteren würde laut der Opposition eine Gleichsetzung, wie sie durch einen Extremismusbegriff entstehen soll, Gewalt aus dem rechtsradikalen Raum stark verharmlosen und somit gesellschaftsfähiger machen.

Zumindest diesem letzten Punkt ist es einfach, allgemeine Zustimmung entgegen zu bringen. Vor allem nachdem bekannt wurde, dass ein großer Teil derjenigen Gelder, welche derzeit in Programme gegen Rassismus, Antisemitismus und allgemeiner Fremdenfeindlichkeit fließen, durch die neuen „Programme gegen (Links-)Extremismus“ grob beschränkt wird. Dies gilt jedoch nur noch für diese Organisationen, die nicht bereits einen extrem weiten, und trotzdem unklaren, Definitionsrahmen als „linksextrem“ bezeichnet werden und somit erst gar nicht das Recht einer staatlichen Unterstützung erhalten. So wird allgemeines soziales Engagement für Demokratie und Menschenrechte urplötzlich kriminalisiert, obgleich es unserer demokratisch-orientierten Regierung eigentlich zu Gute kommen sollte. Wer Aufklärungsarbeit gegen Gedankengut vom rechten Rand und zum Erkennen von Redestrategien moderner Rechtsdemagogen blockiert, tut der Demokratie nichts Gutes, sondern bringt sie erst Recht in Gefahr – und das mindestens fahrlässig!

Und trotzdem bleibt ein fahler Nachgeschmack bei dieser Betrachtung. Denn sie ist einseitig. Diese parlamentarische Demokratie findet nicht nur Bedrohung oder zumindest  offene, destruktive Anfeindungen in den Echos der NS-Vergangenheit, auch wenn das die Sache vielfach erleichtern würde. Die Diskussion ist längst über die mangelnde Aufklärungsunterstützung hinweg in die Streiterei über eine Gleichsetzung von links und rechts abgedriftet. Was fehlt, ist ein gemeinsamer Boden. Schröders Programme gegen Extremismus aller Art sind zumindest in Maßen ein Gedanke, der weitergedacht werden sollte. Im Prinzip. Denn auch, wie unter anderem Ehrhart Körting (SPD) sagte, fehlt die breite öffentliche Ächtung von politisch motivierter Gewalt, wenn sie aus dem linken Spektrum kommt. Hier reicht es nicht aus, nur auf den Rechtsextremismus als größeres Übel zu verweisen. Es ist ersichtlich und bedarf keiner weiteren Studie, dass die quantitative und qualitative Übermacht von Verbrechen aus rechten Beweggründen, von ideologischen Einflüssen der Rechten unbestreitbar ist und zum Handeln aufruft. Die Relativierung jeglicher Gewalt ist für einen demokratischen Rechtsstaat jedoch ein sehr dünnes Eis. Aus diesem Problem muss sich die Diskussion herauswinden, will sie von Erfolg gekrönt sein.  Es reicht nicht, einfach nur auf den strukturell vorkommenden Rassismus und Sexismus in der nicht wirklich „extremen“ Mitte der Gesellschaft zu verweisen, also auf die Probleme der Gesellschaft an sich, wenn man eine Diskussion über die Strukturierungsmöglichkeiten politischer Extrempositionen führt. Diese Frontendiskussion lenkt nämlich schlussendlich leider genauso vom Kernproblem ab, was zur Folge hat, dass beide Fraktionen auf ihre eigene, höchst effiziente Weise den Diskurs blockieren.  Dieses für mich zentrale Problem ist das Phänomen der Einflussnahme von an den äußersten Rändern der jeweiligen Identitäten situierten, zu kompletten Weltanschauungen erhobenen Positionen, und der damit einhergehenden erhöhten Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Einfache Lösungen für globale und oder gesellschaftliche Problematiken werden immer attraktiver bleiben, und dort nisten sich diese Perspektiven gekonnt ein. Die Welt erklären können wollen viele, und wer auch immer den Anspruch dazu haben will, muss immer kritisch beäugt werden.

Wir benötigen in Deutschland eine neue Definition des Extremismus. Eine funktionierende Definition, durch diese keine fragwürdigen, pauschalisierenden und verharmlosende Vergleiche gemacht werden können, und welche die Individualität beider Ausrichtungen vollständig beibehalten kann. Die Gesellschaft darf keine Hufeisenform aufgedrückt bekommen,  sondern muss sich zum vollwertiges Spektrum entfalten, bei welchem der „Extremismus“ nur noch zur Systematik einer Einordnung wird, und kein stereotypes Identitätsdiktat, welches die „Mitte“ von allem Übel freispricht. Rassismus, Xenophobie und Populismus sind nur bedingt identitätsstiftende Eigenschaften für „die Extreme“. Diese Konstanten finden sich überall verstreut, ähnlich Widerhaken. Präventionsprogramme in diesem Rahmen wären daher, hier ließe sich der Ansatz der Kritiker verpflanzen, auch per se keine Programme gegen „Rechtsextremismus“ oder „Linksextremismus“, und sie müssen auch aus dieser Verbindung erst einmal ganz klar herausgelöst werden, bevor man etwaige Verknüpfungspunkte angeht. Rassismus, wie Günter Wallraff nicht erst jüngst „in fremder Haut“ aufzeigte, ist nicht exklusiv von Rechtsextremisten ausgehend,  sondern hierzulande Alltag.

Die Extremismusdebatte lenkt ab. Von rechts. Von links. Von dem strukturellen Rassismus und der Xenophobie innerhalb dieser Gesellschaft. Und von dem Phänomen und der Gefahr von politischer Gewalt. Wer die Ideale der Gewaltfreiheit vertreten will, benötigt Programme zur Prävention politischer Gewalt. Programme zur Aufklärung vor einem Rattenfängertum und zum Aufzeigen von Gefahren durch das Erheben von bloßen Meinungen zu Dogmen.  Programme gegen den individuellen Extremismus, der vielleicht so, vielleicht auch anders definiert werden kann.  
Eine Generation, die das kritische Hinterfragen, das Durchschauen und Analysieren gelernt hat, ist zumindest in der Theorie weniger anfällig für politische und soziale Offenbarungsthesen. Und wird nicht durch die Radikalität  dieser Paradigmen in gewalttätige Akte gestürzt. Diese Generation müssen wir in ihrer Entwicklung unterstützen. Und um dieses Ziel zu erreichen, benötigen wir diese Debatte, ob es uns gefallen mag, oder nicht.



Sonntag, 14. November 2010

Brand im Zoo

Schrecklich. Die armen Tiere! Tod, Verwüstung, und schreiende Nilpferde! Feuer, Teil jener Zerstörungsmacht, die stets zerstören will und stets das Verschmorte schafft. Der Mensch scheint gegenüber dem Verschmorten eine Ehrfurcht entwickelt zu haben, von der er sich nicht freisprechen kann. Und direkt im Schlepptau läuft das Mitleid. Es nimmt sich den Resten an, verwertet sie beinahe schon, verhält sich gleich einer Raffinerie, und der Dampf aus den phallistischen Schornsteinen ist schwarz, drückend, traurig. Prompt diffundiert dieser durch die semi-permeable Membran der Seele, und mahnt uns an. „Sei mein Diener“. Und wir knien nieder, erregt.

Davon abgesehen enttarnt der „Ooooooooooooh die armen Tiere“ Ausruf eine Inkonsistenz in unserer Wahrnehmung, neben der Risse bei Erdbeben der Stärke 9 einem Eselsohr gleichkommen. Denn wenn nicht nur das Ohr, sondern gleich der ganze Esel brennt, dann springt dieses Feuer der Entrüstung auch auf uns über, und entzündet sämtliche unter Druck stehenden Behälter. Klatsch, Bumm, Peng, Kaputt! Aber was noch viel schlimmer ist? Der Brand im Streichelzoo. Zwergeselohren, brennende Zwergesel. Inferno. Und die Konnotation thront auf einer siebenköpfigen Bestie mit zehn Hörnern. 

Donnerstag, 11. November 2010

Brot, Post, und Verlust.

Bevor ich aufgrund der offensichtlichen patriarchalischen Hegemonialstruktur meines Blogs weibliche und sonstige Autor_innen zu Wort kommen lassen muss, werde ich meine verbleibenden Machtdemonstration wohl oder übel auswringen müssen. Nachfolgend einige daraus resultierende Handlungen. Es liegt am Leser zu entscheiden, ob die Texte selbst, oder der Demirug, etwas sagen wollen.

Vor knapp 24 Stunden wurde ich Zeuge davon, dass die physische Integrität meines Körpers von einigen Seiten bedroht wird. Solinger Brotmesser sind hier besonders im Verdacht, ein Komplott gegen uns fleischige Wesen zu planen. Weitere empirische Verfahren werden aller Wahrscheinlichkeit nach folgen.

Bei Dussmann fragte ich mich, ob im riesigen Reclam-Regal nicht bereits sämtliche Puzzleteile für die vollständige Lösung einer Weltformel in der ein oder anderen, mehr oder weniger geschliffenen Form, vorhanden sein könnten. Ist das das Los der Postmoderne? Dass alle Wahrheiten in greifbarer Nähe schweben, und wir doch zu unfähig sind, sie zu greifen, zu zerschneiden und aneinanderzureihen? Muss unserem fein zusammengestellten Domino-Feld immer ein verlaufener Spatz begegnen? Ihn zu erschießen, ändert an der Zerstörungsgewalt nichts. Und sein toter Körper zerfetzt noch mehr Konstruktionen der Wahrheitsfindung. Wie können wir aufhören, uns in diesem Dilemma zu suhlen? Ist die Erlösung eine Postpostmoderne? Hauptsache Post. Post heißt, überlebend, übrig gebliebend. Wie die neue Welt, aus Yggdrasils Asche auferstanden. Aber wäre es nicht ein Hohn zu behaupten, diese Welt würde bestehen bleiben? Das periodische Versengen, das Niedertrampeln aller Türme aus Elfenbein, könnte vielleicht einen Nutzen, einen Sinn oder Zweck von uns verliehen bekommen. Wie alles andere. Denn auch Sisyphos ist glücklich, meint ein Franzose.  Hauptsache, es macht Sinn.

Ich beobachtete ihn schon eine ganze Weile. Er schien eine ziemlich genaue Tagesroutine zu haben. Ein komischer Kauz. Irgendwann musste ich auch einmal Teil seiner Routine gewesen sein, glaube ich. Irgendeine dunkle Erinnerung, der Marke Menschen ohne Gesicht und Form mit schattenhaften Worten und Taten, geisterte in meinem Kopf herum. Anfangs gab ich ihm kaum Aufmerksamkeit. Dieser Mann verlor ständig seine Gegenstände. Manchmal wurde er darauf aufmerksam gemacht, manchmal profitierten andere. Aber immer, nach kurz oder lang, wurde er panisch, rief nach Zeugen, nach seinen Habseligkeiten. Mit einer Regelmäßigkeit.  Doch irgendwann wurde mir klar, dass diese Vergesslichkeit, die er an den Tag legte, keine bloße Charaktereigenschaft zu sein schien. Vielleicht ist es sogar ein falscher Begriff. Er scheint gar nicht vergesslich. Nein, er ver-, verliert absichtlich. Es ist, als würden die Gegenstände rotieren. Das Notizbuch bemerkt er am schnellsten. Aber die Brieftasche ist eine andere Geschichte. Mehrmals wurde er panisch und holte sie sich irgendwie zurück. Aber eines Tages ging er einfach weiter. Und er schaute kein Mal zurück.

Narratives ist Konstruktion. Konstruktion ist Produktion. Erschafft der Autor eine Welt, der Text, oder erschafft der Leser eine Welt? Wessen Schöpfung hat mehr Anspruch auf Existenz? Welche überlebt den Zusammenbruch des Superzustandes, sollte die Katzenkiste geöffnet werden? Was ist Abbildung, was ist wie ein Traum, genauso zusammengesetzt aus willkürlichen Sinneseindrücken? Labe dich in der Postmoderne, solange es dir noch vom der Schreib-; und Leitkultur gestattet wird.

Samstag, 6. November 2010

Blauer Himmel


Es mag sein, dass wann immer wir unseren Kopf nach oben richten und uns ein wie so oft als makellos bezeichneter Himmel in der Farbe des Wassers entgegen zu scheinen vermag, dies unsere Emotionen entsprechend in Bewegung bringen kann. Endorphinausschüttung, Erinnerungen an unsere speziesistisch bedingten Anfänge unter der ewigen Sonne im Herzen der Steppen, machen den modernen, sich selbst mit dem Attributen klug feiernden Menschen zu einer Zweckgestalt, der hin und her gerissen zu sein scheint von dem Diktat des Gens und dem Dogma des Nützlichen. Des als nützlich empfundenen. Und so laben wir uns unterhalb der verbrennenden Sonne, deren Strahlen mancher Vertreter unserer Art zufolge durch unser Zutun immer stärker werden, und tragen das Symbol, die Brandnarbe des modernen Menschen, zum Statussymbol anheim, während die Makellosigkeit, ein Begriff nur positiv geworden durch die Sucht nach einer platonischen Perfektionsidee, für diesen Flächenbrand auf des Menschen Körper nicht verurteilt, sondern verherrlicht wird, obgleich verstanden wurde, dass ein öliger Film auf den oberen Hautschichten die Verbrennung aus einer gesundheitlichen Perspektive zu verhüten vermag. Makellos, das ist nicht, was ohne Makel seine Existenz fristet, sondern was ohne subjektiv empfundene Makel das Dasein fristen kann, was toleriert wird zum Nutzen des Makel akkreditierenden Wesens Mensch. Toleriert zum Nutzen des genetischen Diktats vom nicht emanzipierten Wesen Mensch. Der blaue Himmel in sich selbst ist ein Modul dieses Diktats. Er verbietet uns den Blick hinauf auf das jenseits der Sonne wartende. Die Sonne überscheint den Rest der Existenz, verneint uns den Blick und schenkt uns stattdessen das matte wasserfarbene Nichts, wie ein Schirm über unseren Köpfen. Ein Testament unserer Unwissenheit, unter der propagandistischen Endorphinejakulation.

Montag, 25. Oktober 2010

Wiege der Menschheit

Just eben fragte ich mich, wo und mit welcher Gewissheit andere Menschen die Grenze setzen, wenn sie sagen: "Meine Familie kommt ursprünglich aus X". Welcher zeitliche Rahmen ist hier angewandt? 100 Jahre? 500? 1000? Auf jeden Fall müssen es ganz schön wenige solcher Jahre sein. Oder die fragliche Person hat einen umfangreichen Stammbaum rekonstruiert, der bis tief in die Menschheitsgeschichte zurückzugreifen vermag. "Wo komme ich her?" wird hier degradiert von einer existenzialistischen Dehnübung zum simplen Nachschlagen. Dann aber auch stilecht mit einer eigenen App bitte. Wo fängt Herkunft an?

Diese Problematik zeigt deutlich auf: Es scheint die Annahme vorzuherrschen, die sogenannte Herkunft sei durch einen Rückgriff auf einen kurzen Zeitrahmen widerspruchsfrei belegbar. Dies mag durchaus zutreffen, bezöge man sich nur auf den unmittelbaren Ort der eigenen Kindheit oder das Gebiet, in welchem man die Anfangsphase seines Lebens bis zum ersten Schnitt gelebt hatte. Die Sozialisierung durch kultur-regionale Einflüsse tut hier natürlich ihr übrigstes und füllt den Lebensraum mit mehr der weniger substanziellen Begrifflichkeiten. Nicht so griffig wie das Prestieobjekt Weltbürgertum, zweifelsohne. Herkunft als Ort der ersten Sozialisation, der prägensten Erfahrungen, der Lieblingsort aller freudianischen Rückgriffe begeisterter Psychologen im späteren Leben. Ich bin geboren und aufgewachsen in Land X, Region Y, Stadt Z. Dieser Satz funktioniert. "Ich komme aus Z.", beziehen wir uns auf diesen ersten schicksalsträchtigen Ort, an den wir uns erinnern, und welchen als erstes von uns hätte verlassen werden können.

Jedoch geht es bei der Beantwortung dieser Frage nur den Wenigsten darum, woher sie selbst, sondern woher ihre Familie, ihre "Vorfahren" kommen würden.Ich behaupte nun, hier wird ein willkürlicher, für die eigene Argumentation gerade am passensten sich anbietender zeitlicher Bereich ausgesucht und als relevant für den verwandtschaftlichen Herkunftsbegriff herangezogen. Wieso erdreiste ich mich diese Behauptung zu stellen? Die Identität des eigenen Familienverbandes ist primär abhängig von als gemeinsam empfundenen und vor allem weitererzählten, tradierten und dadurch in der Vergangenheit prägenden Erfahrungswerten, welche in Form von Tradition oder Familienkultur Einflüsse auf das Jetzt ausüben. Ein beliebtes Beispiel ist hier sicherlich die Ergreifung ähnlicher Berufe durch frühe Einflussnahme der jeweiligen Elterngeneration und Sätze wie: "Dein Urgroßvater war Arzt, dein Großvater war Arzt, ich bin Ärztin, deshalb wirst du die Familientradition fortsetzen!" Es ist wichtig, auf diese Einflussnahme näher einzugehen. Familien sind kein starrer Verband. Konflikte zwischen Generationen werden sehr gerne mit römischen Zitaten zu einer universellen Sache erhoben. Daher allgegenwärtig. Jede Generation versucht sich neu zu definieren. Eine bestimmte Grenze jedoch impliziert, nach dieser Grenze gäbe es keine Bewegung, keine Veränderung. Sie benötigt zum Funktionieren eine starre, monotone Zeitlinie. Es erfordert ein unvergleichbares Maß an Arroganz behaupten zu können, die eigene Familie käme aus einem Gebiet der letzten gut 1000 Jahre. Wenn die App gut funktioniert. Der Familienbegriff ist aber, nehmen wir schon großzügigerweise die breite Verwandtschaftlichkeit hinein (wie es in der oben angeführten Äußerung benötigt wird. Alles nach Rezept), um einiges breiter. Er umschließt immerhin jeden einzelnen Menschen in einer langen Fortpflanzungskette, an derem derzeitigen Ende der aktuelle Mensch steht, welcher nun über die kausale Abfolge dieser Ahnengalerie reflektiert. Dort eine Grenze zu setzen bedeutet, dahinter liegende Verwandtschaft auszuschließen. Und woher kamen diese? Wanderung, in den Wogen der Zert untergegangene Menschen, Namen, Siedler, Flüchtlinge, ...  und irgendwo stehen sie in diesem undurchschaubaren Baum der eigenen Existenz immer weiter Richtung Stamm. Aber Herkunft kann keine Frage davon sein, wo ein Ast gesprossen ist. Herkunft ist der Stamm, die Wurzel. Wo liegt spekulierte Wurzel der Menschheit?

In Afrika. Dort, wo die Zahl der Hominiden stellenweise auf 100 geschrumpft sein soll. Die einzige logisch noch halbwegs haltbare Antwort auf diese unsägliche Aussage wäre demgemäß: "Ursprünglich kommt meine Familie aus Afrika". Hier hat Familie ihren maximalen Wert erreicht. Hier schließt die Familie alles im maximalen ausgereizten Verwandtschaftsverhältnis ein. Dies wäre die eigene Spezies. Natürlich ist es haltbar, würde eine Person darauf eingehen, dass die eigene Verwandtschaft in jüngster Vergangenheit durch politische und gesellschaftliche Ereignisse stark geprägt war, zu den Ausmaßen, als dass sich hier ein möglichst anders geartetes Quantenparalleluniversum gebildet hat. Aber letzten Endes ist Herkunft ein Begriff, der als Prestige, Forderung und Justifikation stark abgewandelt, ja gar missbraucht wird. Benutzen wir ihn, meinen wir es stehts in einem konkreten zeitlichen Kontext, und nicht universell. Es ist jedoch fraglich, wieso es dann gerade dieser Zeitraum ist. Was soll ausgedrückt werden? Und welche Relation hat dies dann auch tatsächlich zur eigenen Existenz? Wird die Handlungsrezeption anderer tatsächlich davon beeinflusst, ob mein Urururerzeuger nun Fürst Leopold Alexander Wilhelm Karl von Wanne-Eickel oder der Landstreicher Horst Möller war? Vor allem da nicht gewährleistet ist, dass frühere Verwandte nicht doch vorher Landstreicher aus Wanne-Eickel oder Fürst Müllershausen gerufen hätten worden können.

Kurzum: Benutzen wir den Begriff konsequent, wäre die Antwort bei allen Menschen identisch. Ein weiterer Punkt für die universalen Menschenrechte. Zerwürfnisse beiseite: Wer möchte, dass seinen Familienangehörigen Schaden zugefügt wird?

Dies ist ein Versuch. Würde er nicht scheitern, wäre er misslungen.

Freitag, 22. Oktober 2010

Schweizer Käse

Bibliotheken sind, nebst praktischem Aufbewahrungsort für Staubsammler jeglicher Art auch Orte einer gar meditativ anmutenden Ruhe, beinahe schon an Treibregulation und -kanalisation angrenzend. Hier kann homo logos seiner zivilisatorischen Gehirnmassage unentwegt Folgschaft leisten. Schöngeistlichkeit, Kopftraining auf das Koryphäen wie Dr. Kawashima nur verdadderteres Sabbern als Antwort artikulieren könnten. Umso schlimmer, wenn eine Person laute Geräusche austößt, aus welchen für sie unbeeinflussbaren Gründen auch immer dies geschehen mag. Aus der Trance brutalst herausgerissen, ist die Quelle der Störung sofort visuell identifiziert, und für einen kurzen Moment ist dieses Menschending Subjekt voyeuristischster Vivisektion ohne Anästhesie. Bonuspunkte, wenn viele Studenten der Humanbiologien anwesend sind. Sezierungen aller Frösch_innen dieser Welt sind nicht nur mehr anachronisich, sondern auch weitaus unergiebig für den Wissensdurst der Menschheit. Zuviel Schneiderei, zuviele Gedärme. Irgendwann sehen sie ja auch alle gleich aus. Aber nicht so die Ketzer_in der Bibliothek. Blicke zerschießen sie, und ihr Ego bleibt langhaltig vernarbt. Brutalste Menschenfolter in deutschen Bibliotheken. Bücher als Zeugen. Traumatisiert. Staunend. Staunend über Käse aus der Schweiz in menschlicher Form. Oder menschliche Form wie Käse aus der Schweiz. Bizarre Arbeitstranslation von Mikroben zu penetrierenden Blicken. Bücher können noch viel von uns lernen. Die Bibliothek demonstriert ihnen furios die Gesamtheit der menschlichen Selbstkontrolle und Rituale.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

EE

Wie ... Europäische Ethnologie. Voyeuristische Forschung im Feld oder energetische Eigentumswohnungssanierung. Enton benutzt: Energieball!! bla.

Erster Eintrag.