Freitag, 19. November 2010

Extremismus - Essay

Die elend-ermüdende Debatte um das für wenn und aber des Extremismusbegriffes lenkt ab. Diese Aussage ist eine der wenigen Punkte, bei denen alle Beteiligten irgendwie zustimmen könnten. Da hören aber auch schon die Gemeinsamkeiten auf. Während Ministerin Schröder in ihrem eifrigen  Kreuzzug nicht einmal  dazu in der Lage zu sein scheint, zusammen mit ihrem Ministerium, eine „Linksextremismus“-Definition zu konzipieren, welche ausnahmsweise mal keine demokratisch-orientierten Organisationen einschließt, finden sich auf der anderen Seite verstärkt defensive Fingerzeigübungen auf die bösen Nazis. Verhärtete Fronten sind, spätestens seit Deutschland die Kopfbahnhöfe lieben gelernt hat, ziemlich unbeliebt. 

Aber worum geht es  hier konkret? Die Extremismusdebatte bezeichnet in erster Linie einen Streit über einen allgemein-anwendbaren Extremismusbegriff, inwieweit ein „Rechts-;“ und „Linksextremismus“ überhaupt real existiert, und wenn ja, wie mit diesen beiden Positionen umgegangen werden sollte. So plant die Bundesregierung „Programme gegen Extremismus“ in Gang zu bringen, während auf oppositioneller Seite oftmals der „Extremismus“ generell in Frage gestellt wird.  Desweiteren würde laut der Opposition eine Gleichsetzung, wie sie durch einen Extremismusbegriff entstehen soll, Gewalt aus dem rechtsradikalen Raum stark verharmlosen und somit gesellschaftsfähiger machen.

Zumindest diesem letzten Punkt ist es einfach, allgemeine Zustimmung entgegen zu bringen. Vor allem nachdem bekannt wurde, dass ein großer Teil derjenigen Gelder, welche derzeit in Programme gegen Rassismus, Antisemitismus und allgemeiner Fremdenfeindlichkeit fließen, durch die neuen „Programme gegen (Links-)Extremismus“ grob beschränkt wird. Dies gilt jedoch nur noch für diese Organisationen, die nicht bereits einen extrem weiten, und trotzdem unklaren, Definitionsrahmen als „linksextrem“ bezeichnet werden und somit erst gar nicht das Recht einer staatlichen Unterstützung erhalten. So wird allgemeines soziales Engagement für Demokratie und Menschenrechte urplötzlich kriminalisiert, obgleich es unserer demokratisch-orientierten Regierung eigentlich zu Gute kommen sollte. Wer Aufklärungsarbeit gegen Gedankengut vom rechten Rand und zum Erkennen von Redestrategien moderner Rechtsdemagogen blockiert, tut der Demokratie nichts Gutes, sondern bringt sie erst Recht in Gefahr – und das mindestens fahrlässig!

Und trotzdem bleibt ein fahler Nachgeschmack bei dieser Betrachtung. Denn sie ist einseitig. Diese parlamentarische Demokratie findet nicht nur Bedrohung oder zumindest  offene, destruktive Anfeindungen in den Echos der NS-Vergangenheit, auch wenn das die Sache vielfach erleichtern würde. Die Diskussion ist längst über die mangelnde Aufklärungsunterstützung hinweg in die Streiterei über eine Gleichsetzung von links und rechts abgedriftet. Was fehlt, ist ein gemeinsamer Boden. Schröders Programme gegen Extremismus aller Art sind zumindest in Maßen ein Gedanke, der weitergedacht werden sollte. Im Prinzip. Denn auch, wie unter anderem Ehrhart Körting (SPD) sagte, fehlt die breite öffentliche Ächtung von politisch motivierter Gewalt, wenn sie aus dem linken Spektrum kommt. Hier reicht es nicht aus, nur auf den Rechtsextremismus als größeres Übel zu verweisen. Es ist ersichtlich und bedarf keiner weiteren Studie, dass die quantitative und qualitative Übermacht von Verbrechen aus rechten Beweggründen, von ideologischen Einflüssen der Rechten unbestreitbar ist und zum Handeln aufruft. Die Relativierung jeglicher Gewalt ist für einen demokratischen Rechtsstaat jedoch ein sehr dünnes Eis. Aus diesem Problem muss sich die Diskussion herauswinden, will sie von Erfolg gekrönt sein.  Es reicht nicht, einfach nur auf den strukturell vorkommenden Rassismus und Sexismus in der nicht wirklich „extremen“ Mitte der Gesellschaft zu verweisen, also auf die Probleme der Gesellschaft an sich, wenn man eine Diskussion über die Strukturierungsmöglichkeiten politischer Extrempositionen führt. Diese Frontendiskussion lenkt nämlich schlussendlich leider genauso vom Kernproblem ab, was zur Folge hat, dass beide Fraktionen auf ihre eigene, höchst effiziente Weise den Diskurs blockieren.  Dieses für mich zentrale Problem ist das Phänomen der Einflussnahme von an den äußersten Rändern der jeweiligen Identitäten situierten, zu kompletten Weltanschauungen erhobenen Positionen, und der damit einhergehenden erhöhten Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Einfache Lösungen für globale und oder gesellschaftliche Problematiken werden immer attraktiver bleiben, und dort nisten sich diese Perspektiven gekonnt ein. Die Welt erklären können wollen viele, und wer auch immer den Anspruch dazu haben will, muss immer kritisch beäugt werden.

Wir benötigen in Deutschland eine neue Definition des Extremismus. Eine funktionierende Definition, durch diese keine fragwürdigen, pauschalisierenden und verharmlosende Vergleiche gemacht werden können, und welche die Individualität beider Ausrichtungen vollständig beibehalten kann. Die Gesellschaft darf keine Hufeisenform aufgedrückt bekommen,  sondern muss sich zum vollwertiges Spektrum entfalten, bei welchem der „Extremismus“ nur noch zur Systematik einer Einordnung wird, und kein stereotypes Identitätsdiktat, welches die „Mitte“ von allem Übel freispricht. Rassismus, Xenophobie und Populismus sind nur bedingt identitätsstiftende Eigenschaften für „die Extreme“. Diese Konstanten finden sich überall verstreut, ähnlich Widerhaken. Präventionsprogramme in diesem Rahmen wären daher, hier ließe sich der Ansatz der Kritiker verpflanzen, auch per se keine Programme gegen „Rechtsextremismus“ oder „Linksextremismus“, und sie müssen auch aus dieser Verbindung erst einmal ganz klar herausgelöst werden, bevor man etwaige Verknüpfungspunkte angeht. Rassismus, wie Günter Wallraff nicht erst jüngst „in fremder Haut“ aufzeigte, ist nicht exklusiv von Rechtsextremisten ausgehend,  sondern hierzulande Alltag.

Die Extremismusdebatte lenkt ab. Von rechts. Von links. Von dem strukturellen Rassismus und der Xenophobie innerhalb dieser Gesellschaft. Und von dem Phänomen und der Gefahr von politischer Gewalt. Wer die Ideale der Gewaltfreiheit vertreten will, benötigt Programme zur Prävention politischer Gewalt. Programme zur Aufklärung vor einem Rattenfängertum und zum Aufzeigen von Gefahren durch das Erheben von bloßen Meinungen zu Dogmen.  Programme gegen den individuellen Extremismus, der vielleicht so, vielleicht auch anders definiert werden kann.  
Eine Generation, die das kritische Hinterfragen, das Durchschauen und Analysieren gelernt hat, ist zumindest in der Theorie weniger anfällig für politische und soziale Offenbarungsthesen. Und wird nicht durch die Radikalität  dieser Paradigmen in gewalttätige Akte gestürzt. Diese Generation müssen wir in ihrer Entwicklung unterstützen. Und um dieses Ziel zu erreichen, benötigen wir diese Debatte, ob es uns gefallen mag, oder nicht.



Sonntag, 14. November 2010

Brand im Zoo

Schrecklich. Die armen Tiere! Tod, Verwüstung, und schreiende Nilpferde! Feuer, Teil jener Zerstörungsmacht, die stets zerstören will und stets das Verschmorte schafft. Der Mensch scheint gegenüber dem Verschmorten eine Ehrfurcht entwickelt zu haben, von der er sich nicht freisprechen kann. Und direkt im Schlepptau läuft das Mitleid. Es nimmt sich den Resten an, verwertet sie beinahe schon, verhält sich gleich einer Raffinerie, und der Dampf aus den phallistischen Schornsteinen ist schwarz, drückend, traurig. Prompt diffundiert dieser durch die semi-permeable Membran der Seele, und mahnt uns an. „Sei mein Diener“. Und wir knien nieder, erregt.

Davon abgesehen enttarnt der „Ooooooooooooh die armen Tiere“ Ausruf eine Inkonsistenz in unserer Wahrnehmung, neben der Risse bei Erdbeben der Stärke 9 einem Eselsohr gleichkommen. Denn wenn nicht nur das Ohr, sondern gleich der ganze Esel brennt, dann springt dieses Feuer der Entrüstung auch auf uns über, und entzündet sämtliche unter Druck stehenden Behälter. Klatsch, Bumm, Peng, Kaputt! Aber was noch viel schlimmer ist? Der Brand im Streichelzoo. Zwergeselohren, brennende Zwergesel. Inferno. Und die Konnotation thront auf einer siebenköpfigen Bestie mit zehn Hörnern. 

Donnerstag, 11. November 2010

Brot, Post, und Verlust.

Bevor ich aufgrund der offensichtlichen patriarchalischen Hegemonialstruktur meines Blogs weibliche und sonstige Autor_innen zu Wort kommen lassen muss, werde ich meine verbleibenden Machtdemonstration wohl oder übel auswringen müssen. Nachfolgend einige daraus resultierende Handlungen. Es liegt am Leser zu entscheiden, ob die Texte selbst, oder der Demirug, etwas sagen wollen.

Vor knapp 24 Stunden wurde ich Zeuge davon, dass die physische Integrität meines Körpers von einigen Seiten bedroht wird. Solinger Brotmesser sind hier besonders im Verdacht, ein Komplott gegen uns fleischige Wesen zu planen. Weitere empirische Verfahren werden aller Wahrscheinlichkeit nach folgen.

Bei Dussmann fragte ich mich, ob im riesigen Reclam-Regal nicht bereits sämtliche Puzzleteile für die vollständige Lösung einer Weltformel in der ein oder anderen, mehr oder weniger geschliffenen Form, vorhanden sein könnten. Ist das das Los der Postmoderne? Dass alle Wahrheiten in greifbarer Nähe schweben, und wir doch zu unfähig sind, sie zu greifen, zu zerschneiden und aneinanderzureihen? Muss unserem fein zusammengestellten Domino-Feld immer ein verlaufener Spatz begegnen? Ihn zu erschießen, ändert an der Zerstörungsgewalt nichts. Und sein toter Körper zerfetzt noch mehr Konstruktionen der Wahrheitsfindung. Wie können wir aufhören, uns in diesem Dilemma zu suhlen? Ist die Erlösung eine Postpostmoderne? Hauptsache Post. Post heißt, überlebend, übrig gebliebend. Wie die neue Welt, aus Yggdrasils Asche auferstanden. Aber wäre es nicht ein Hohn zu behaupten, diese Welt würde bestehen bleiben? Das periodische Versengen, das Niedertrampeln aller Türme aus Elfenbein, könnte vielleicht einen Nutzen, einen Sinn oder Zweck von uns verliehen bekommen. Wie alles andere. Denn auch Sisyphos ist glücklich, meint ein Franzose.  Hauptsache, es macht Sinn.

Ich beobachtete ihn schon eine ganze Weile. Er schien eine ziemlich genaue Tagesroutine zu haben. Ein komischer Kauz. Irgendwann musste ich auch einmal Teil seiner Routine gewesen sein, glaube ich. Irgendeine dunkle Erinnerung, der Marke Menschen ohne Gesicht und Form mit schattenhaften Worten und Taten, geisterte in meinem Kopf herum. Anfangs gab ich ihm kaum Aufmerksamkeit. Dieser Mann verlor ständig seine Gegenstände. Manchmal wurde er darauf aufmerksam gemacht, manchmal profitierten andere. Aber immer, nach kurz oder lang, wurde er panisch, rief nach Zeugen, nach seinen Habseligkeiten. Mit einer Regelmäßigkeit.  Doch irgendwann wurde mir klar, dass diese Vergesslichkeit, die er an den Tag legte, keine bloße Charaktereigenschaft zu sein schien. Vielleicht ist es sogar ein falscher Begriff. Er scheint gar nicht vergesslich. Nein, er ver-, verliert absichtlich. Es ist, als würden die Gegenstände rotieren. Das Notizbuch bemerkt er am schnellsten. Aber die Brieftasche ist eine andere Geschichte. Mehrmals wurde er panisch und holte sie sich irgendwie zurück. Aber eines Tages ging er einfach weiter. Und er schaute kein Mal zurück.

Narratives ist Konstruktion. Konstruktion ist Produktion. Erschafft der Autor eine Welt, der Text, oder erschafft der Leser eine Welt? Wessen Schöpfung hat mehr Anspruch auf Existenz? Welche überlebt den Zusammenbruch des Superzustandes, sollte die Katzenkiste geöffnet werden? Was ist Abbildung, was ist wie ein Traum, genauso zusammengesetzt aus willkürlichen Sinneseindrücken? Labe dich in der Postmoderne, solange es dir noch vom der Schreib-; und Leitkultur gestattet wird.

Samstag, 6. November 2010

Blauer Himmel


Es mag sein, dass wann immer wir unseren Kopf nach oben richten und uns ein wie so oft als makellos bezeichneter Himmel in der Farbe des Wassers entgegen zu scheinen vermag, dies unsere Emotionen entsprechend in Bewegung bringen kann. Endorphinausschüttung, Erinnerungen an unsere speziesistisch bedingten Anfänge unter der ewigen Sonne im Herzen der Steppen, machen den modernen, sich selbst mit dem Attributen klug feiernden Menschen zu einer Zweckgestalt, der hin und her gerissen zu sein scheint von dem Diktat des Gens und dem Dogma des Nützlichen. Des als nützlich empfundenen. Und so laben wir uns unterhalb der verbrennenden Sonne, deren Strahlen mancher Vertreter unserer Art zufolge durch unser Zutun immer stärker werden, und tragen das Symbol, die Brandnarbe des modernen Menschen, zum Statussymbol anheim, während die Makellosigkeit, ein Begriff nur positiv geworden durch die Sucht nach einer platonischen Perfektionsidee, für diesen Flächenbrand auf des Menschen Körper nicht verurteilt, sondern verherrlicht wird, obgleich verstanden wurde, dass ein öliger Film auf den oberen Hautschichten die Verbrennung aus einer gesundheitlichen Perspektive zu verhüten vermag. Makellos, das ist nicht, was ohne Makel seine Existenz fristet, sondern was ohne subjektiv empfundene Makel das Dasein fristen kann, was toleriert wird zum Nutzen des Makel akkreditierenden Wesens Mensch. Toleriert zum Nutzen des genetischen Diktats vom nicht emanzipierten Wesen Mensch. Der blaue Himmel in sich selbst ist ein Modul dieses Diktats. Er verbietet uns den Blick hinauf auf das jenseits der Sonne wartende. Die Sonne überscheint den Rest der Existenz, verneint uns den Blick und schenkt uns stattdessen das matte wasserfarbene Nichts, wie ein Schirm über unseren Köpfen. Ein Testament unserer Unwissenheit, unter der propagandistischen Endorphinejakulation.