Freitag, 14. Januar 2011

Unschärferelation

Weit hergeholt.

Wie schon Nietzsche mit seinem tollen Menschen verkündete, stürzt der Mensch. Er stürzt "[... ] fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? [...] (Aphorismus 125) Im Folgenden werde ich auf niederträchtigste Art und Weise das obige Zitat weiter entfremden und instrumentalisieren.

Bekannte von mir wissen, dass ich mit politisch Links und Rechts und allem was dazu und davon weg gehört ein sehr zwiespältiges Verhältnis pflege. Meine bösen Vergleiche sind ein Teil davon. Zugegeben müsste ich, würde ich mich dazu gezwungen sehen, eine Seite der Medaille auszuwählen, die linke Seite wählen, aber glücklicherweise bleibt es nur bei diesem konstruierten Szenario. Eher muss ich mich derzeit außerhalb positionieren, was das Ganze natürlich nicht einfacher macht. Nein nein, ich kann mich beim besten Willen nicht zuordnen.

Natürlich können sich beide Schemata nicht eines gewissen Anachronismus entziehen. Aber dies ist als Ausschlusskriterium alleine nicht haltbar. Was mich an dieser Dualität stört, ist die konstante Abhängigkeit voneinander. Ideale Feindbilder werden Tag für Tag zur Mobilisierung konstruiert und bedient, und sind mittlerweile ein essentieller Teil für die eigene Identität geworden. Während ich Unterschiede und meinetwegen auch Gegensätze durchaus als enorm wichtig für die eigene Individualität erachte, sind sie auf politischer Ebene absolutes Gift und lenken von wichtigeren, inhaltlichen Punkten und auch Widersprüchen ab. Exemplarisch ist hier die auf beeindruckende Weise verunglückte "Dagegen-Kampagne" der judeo-christlichen Leitkulturkreuzritter zu nennen. Was hier vollkommen igoriert wird, dass ein "Dagegen-sein" meistens auch ein "Dafür-sein" impliziert (weil Gegensatz und so. Lernt man normalerweise in der Grundschule, spätestens.), ist nicht einmal der große Stein des Anstoßes. Nein, hier wird ein stereotypes Feindbild zur eigenen Identitätskonstruktion verwendet. Das Ergebnis: Eine eigene, vollkommen verzerrte und stereotype Identität. Die Gußform war letzten Endes wohl doch überraschenderweise nur eine "Form", und das Ergebnis folgt dann auch deren Eigenschaften. Das mag auf Stammtischen funktionieren, in einer heterogenen Gemeinschaft von 80 Millionen Menschen sollte mit aufsteigendem Reflexionsniveau jedoch eine antiproportionale Erfolgschance zu beobachten sein. Und hier kommen wir zum zweiten Punkt.

Heterogenität. Die beiden richtungsweisenden Schlagworte bezeichnen jeweils große Gruppen, die sich in unerfassbare Zahl von kleinen Interessensverbänden, Parteien, Vereinen, Gruppen, bla aufsplitten. Wird eine Richtungsangabe gegeben ("Ich bin Links! Wir sind Links!"), dann ist das mittlerweile an inhaltsleere kaum zu übertreffen. Die gegebenen Einordnungen und die in diesem schizophrenen Kasperletheater mitspielenden Menschen sprechen sich untereinander die Inhalte und die Ausrichtung ab. "Nein, du bist nicht links, du bist rechter Rand! Nur [eigene Gruppe hier einfügen] spricht für [Ideologie hier einfügen]!" Die breite thematische Differenzierung beginnt schon bei den Grundprinzipien, auf die sich einzelne Gruppen für sich verständigt haben. Das Ergebnis: Links heißt hier "'n bisschen mehr Besteuerung der oberen 20 wär schon ne gute Sache", dort "Produktionsmittelbesitzer entmachten!" und irgendwo in der Ferne: "Schaffe Frieden - hasse Deutschland!". Ein Begriff, der bei einer Selbstzuschreibung erst einmal eine meterlange Definition verlangt, ist absolut ungeeignet, es sei denn der Betreffende will absichtlich den gesamten Spektralbereich für sich beanspruchen. Das funktionier bei Aussagen wie "Ich bin Mensch". Aber "Ich bin rechts" kann heute anscheinend heißen: "Ich leugne den Holocaust! Das ist zionistische Propaganda!" oder "Gemeinschaftsschulen sind doof!" Kein Wunder, dass Frau Schröder schon alleine beim [x]extremismus so verwirrt ist. Eigentlich sind wirs alle.

#3. Dieses Verhalten ist aber eine denkbar menschliche und nachvollziehbare Reaktion. Wenn wir mit einer extremen Nummer von Werten konfrontiert werden, erleichtert es den Umgang mit diesen Werten. aus "1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11 ..." wird n1 = {1, ... , 10} und n2 = {10+x}. Mit n1 und n2 arbeitet es sich platzsparender, und überschaulicher. Die Kunst der Sache ist, den Definitionsrahmen klar zu strukturieren, damit sich nicht aus versehen eine Ziffer einschleust wie -3, die in keinen der oben genannten Werte passen mag. Dann wird sie kurzerhand n1 zugeordnet, weils halt am ehesten passt, und man weiß ja was gemeint ist. So ist es mit Extremismus, mit seiner Lokalisierung auf die Richtungen, und mit dem Begriff allgemein. Aber die Lösung kann nicht sein, bei unpassendem wegzusehen, zu verneinen, zu ignorieren. Das betrifft vor allem die aktuelle Integrationsdebatte, aber eben auch mein leidiges Lieblingsthema nach harten (= männlichen?) Quoten: Den werten Extremismus. Wo Stimmung gemacht wird, Hass auf Andersdenkende, Gewalt zum legitimen Mittel der Meinungsäußerung erklärt wird, hört der Spaß für mich auf. Und die Gründe (nicht die Umstände!) sind für die Bewertung einer Handlung egal. Es würde erfrischend sein, wenn einige Akteure beginnen könnten, genauso kritisch gegenüber sich selbst zu werden wie sie es bei anderen Menschen und Meinungen sind. Das setzt allerdings eine Öffnung der ideologischen Schleusen voraus. Wie Nietzsche meines Willens gemäß schrieb, sind die Richtungen in diesem gigantischen System unscharf. Wir können sie definieren, aber heißen tun sie nichts.

Natürlich ist dieser Beitrag nicht fehler-; und widerspruchsfrei. Allgemeine Verständlichkeit ging genauso freiwillig von Bord wie der Lotse es einst getan hat. Wer es geschafft hat sich durch diesen Wortdschungel zu kämpfen, ist gerne auf eine Diskussion eingeladen. Oder auch ohne es getan zu haben. ;)

Und zum Schluss:
Ich bin nicht "Links", ich bin nicht "Rechts". Ich weiß nicht was ich bin, aber ich weiß was ich nicht bin. Ein ausbaufähiger Anfang, finde ich.

Montag, 3. Januar 2011

Club Mate zum Frühstück

Langsam aber sicher nähere ich mich dem studentischen Ottonormalindielifestyle-Diktat an. Fertig geschnittenes Brot vom Supermarkt ihres Vertrauens? Check. Club Mate aus garantiert ökologisch verantwortungsvoller Landwirtschaft vom nicht-vorhandenen Biosiegel ausgehend? Check. Verpennter Blick beim zeitlupenhaften, nicht einmal als "Zubereiten" bezeichnungsbaren Erschaffen meines Frühstücks? Check. Fehlen nur noch:
  • Gammelklamotten für das Doppelte Vielfache meiner Monatsmiete pro Teil.
  • Ein Smartphone, vorzugsweise mit Apfel.
  • mindestens 4 Semester über der Regelstudienzeit.
  • eine echte Nerdbrille. 8^)
  • komische Partyfotos bei Facebook, vorzugsweise eingescannt damits so aussieht wie 'nen Polaroid.
  • Fotoautomatenfotos mit lustigen Grimassen und Leuten die ich nicht kenne. Auch gern im Gesichtsbuch zu finden. Immerhin muss jeder an meinen Fotoautomateskapaden teilhaben.
  • Marx gut sichtbar im Bücherregal, pardon, auf einem Stapel irgendwo in der "Studentebude". Am besten direkt auf Ayn Rand. Nimm das!
  • Eine Wohngemeinschaft im Namen, am besten kollektivistisch ausgerichtet. Wann Links sein, wenn nicht als Student? Seine konservative Ader entdeckt Post-68er Student sowieso erst nach dem Studium im ortsansässigen Streber_innengartenverein e.V. Davor hat er die Revolution herbei zu gröhlen und lustige Marx-Lesekreise zu besuchen.
  • mjam mjam Atomkraftfreie Zone im Kühlregal. ATOMKRAFTFREIEIEIEIEIEIEIIIIIIIIIIII.:ugly:
  • Und irgendwann muss ich noch volltrunken in einem Einkaufswagen rumgeschoben werden fällt mir grad ein. :-/
So. Hoffen wir mal, dass mein diesjähriges Pensum des Klischeeheraufbeschwörens für dieses Jahr nun erfüllt ist. Und wehe in einem Jahr kann ich hinter den Großteil dieser Punkte ein "Check" setzen.

Und wen's interessiert: Meine "Vorsätze" für das Jahr mit den zwei Einsen.
  1. Schreiben
  2. Nicht mehr nicht schreiben
  3. Smartphone ohne Apfel
  4. Fotoooooooos machen. :D
Dadadam.

Sonntag, 2. Januar 2011

Umineko no Naku koro ni - Wenn die Möwen weinen

Ich bin total begeistert und dieser Post wird wohl in ein heiloses Fangirlen hinauslaufen. Egal.

Umineko no Naku koro ni ist ein sogenanntes "Sound Novel", wie deutsche Politiker es ausdrücken würden, ein Geräuschroman. Der "Spieler" klickt sich durch immer neue Textblöcke, welche durch atmosphärische Geräusche und Musik, Hintergründe und Charaktere zusätzlich visualisiert werden. Quasi ein Roman mit Bildern, die Interaktionsfähigkeit liegt bei Null. Und trotzdem gilt es noch als "Spiel". Geschrieben von "Ryukishi07", Mitglied der dreiköpfigen Gruppe  "07th Expansion", welche mit dem Vorgänger "Higurashi no Naku koro ni - Wenn die Zikaden weinen" in der Szene berühmt geworden sind.

Die Handlung ist nicht einfach erklärt: Die stinkreiche Ushiromiya-Familie hält jedes Jahr ein Familientreffen auf einer abgelegenen Insel ab, so auch am 4. und 5. Oktober 1986. Kinzo Ushiromiya, der die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Nichts wieder aufgebaut hatte, liegt im Sterben, und seine Kinder haben alle erhebliche finanzielle Schwierigkeiten, was die Stimmung auf der Familienkonferenz und die Diskussionen über die Erbteilung nicht angenehmer macht.. Dass Kinzo angeblich 10 Tonnen Gold auf der Insel gebunkert haben soll, macht die Sache nicht besser, nein. Seine Behauptung, die Goldene Hexe Beatrice habe ihm das Gold transmutiert, und seine Liebe zum Okkultismus werden auch nur unter den Gesichtspunkten toleriert, dass er immer noch legales Oberhaupt der Familie ist. Ein gigantisches Portrait von Beatrice in der Eingangshalle und ein Epitaph, auf dem ein brutales Ritual zur Wiederauferstehung der Hexe beschrieben wird, verbessert Kinzos Fremdwahrnehmung auch nicht. An diesem Familientreffen passiert allerdings etwas unvorhersehbares: Beim Abendessen zieht die kleine Maria Ushiromiya einen Brief mit dem Siegel des Oberhauptes hervor, der von Beatrice geschrieben sein soll und die Familie dazu aufruft, das Epitaph zu lösen - Andernfalls wird alles, was Kinzo mit dem Gold erschaffen hat, von der Hexe eingefordert. Das beinhaltet die Familie.

Spoiler ->

Und dann fängt das Morden an. Der/Die TäterInnen malt magische Zirkel auf geschlossene Türen, hermetische abgeriegelte Räume werden Schauplätze von Morden, die nur für Hexen möglich erscheinen. Und als am 5. Oktober die Uhr um 12 Uhr schlägt, sind alle Mitglieder der Familie und der Bediensteten entweder tot oder verschwunden. "When the Seagulls cry, there are no survivors."

Aber einer will nicht daran glauben, dass eine Hexe die Morde verübt hat. In einer Metawelt fordert Beatrice diesen Mann, Battler Ushiromiya, heraus. Er soll beweisen, wie die Morde für einen Menschen möglich gewesen sein sollen. Und so werden weitere Variationen der schicksalträchtigen Tage vorgeführt, von den Charakteren kommentiert, und langsam aber sicher kommt Beatrices Herz ans Licht.

Umineko no Naku koro ni ist destillierte Erkenntnistheorie und Literaturwissenschaft. Eine bastardisierte Schrödingers Katze, Hempels Raben, Author-Theory, Rote Wahrheit und einer der krassesten Self-Inserts die mir jemals untergekommen sind fordern den Leser heraus. Was ist Wahrheit? Was ist Magie? Und braucht es Liebe, um die Wahrheit zu sehen? Wollen wir ein "Mystery" oder ein "Fantasy"? Akzeptieren wir Beatrices Herausforderung, oder war am Ende doch alles wie von Zauberhand?

Unterstützt durch eine enorm engagierte Übersetzergruppe, der Witch Hunt, sind uns Westlern alle Werkzeuge anheim gelegt, das Rätsel selbstständig zu lösen. Auch wenn die vielen Fanforen jetzt nach dem Erscheinen der letzten Episode #8 spoileriffic sein werden. Ich kann es nur empfehlen. Es bietet einen von der Übersetzung ausgehend soliden Schreibstil, einige wirklich brilliante Gedanken, eine leidenschaftliche Einbeziehung des Lesers, atmosphärische Effekte und Musik, und eine gigantische Zahl an Charakteren. Aber: Es ist ziemlich brutal. Ryukishi07 beschreibt einige Szenen in einem durchaus erschreckenden Detailreichtum, was aber auch auf die emotionalen Szenen zutrifft. Boah, dieser Kerl weiß einfach wie man zu schreiben hat. Und dafür bewunder ich ihn. Punkt!

Und jetzt: Lesen! >:D Bei weiteren Fragen einfach an mich wenden. Oder die Witch Hunt Seite studieren, die Herren und Damen stellen die Serie ziemlich umfassend vor. Jedenfalls ist es TOLL TOLL SUPER TOLL! Und mehr Leute sollten Umineko kennen. Seriously!